Tuesday

Jugendkrawalle: Der Kapitalismus frisst seine Kinder - International - Politik - Handelsblatt



Jugendkrawalle: Der Kapitalismus frisst seine Kinder - International - Politik - Handelsblatt
Das Spiel der Märkte kann Wohlstand schaffen, aber keinen Ersatz für fehlende Werte. Jetzt schaut eine verunsicherte junge Generation auf eine Gesellschaft ohne Vision und stellt die Frage nach der Zukunft.

Unversöhnlich standen sie sich beim Papstbesuch in Spanien gegenüber: Auf der einen Seite mehr als eine Million junge Gläubige, die in der Besinnung auf die Religion nach einem Sinn für ihr Leben suchen, den ihnen die moderne Konsumgesellschaft nicht mehr bieten kann. Auf der anderen Seite zum Teil hasserfüllte Demonstranten, die nicht begreifen können, warum Steuergelder ausgegeben werden für ein kirchliches Event wie den Weltjugendtag, dessen Sinn und Wert mit wissenschaftlichen und ökonomischen Kriterien nicht messbar ist.

Wie in einem Brennglas zeigt sich hier das Dilemma der jungen Generation Europas. Viele sind auf der Suche nach Projekten, für die es sich lohnt, sich zu engagieren. Doch in den materialistischen Gesellschaften fehlen die Vorbilder und die Werte, der politische Betrieb kreist nur noch um sich selbst. Wenn dann angesichts galoppierender Jugendarbeitslosigkeit auch noch der wirtschaftliche Erfolg ausbleibt, explodiert das Pulverfass.

Die Politik hat es versäumt, der Wirtschaftsordnung eine gleichwertige Gesellschaftsordnung gegenüberzusetzen. Jahrelang hat sie gedankenlos das Primat der Ökonomie akzeptiert, weil die entfesselten Marktkräfte ja lange Zeit den Wohlstand brachten, der die Massen begeisterte und die Wiederwahl sicherte. War früher Religion Opium für das Volk, war nun Konsum Crack für die Massen.

Doch mit jeder ökonomischen Krise wird es offensichtlicher, dass Wohlstand langfristig nur Mittel zum Zweck sein kann und nicht das Ziel einer Gesellschaft. Der britische Bestsellerautor Terry Eagleton bringt es in seinem Buch „Der Sinn des Lebens“ auf den Punkt: „Was nun den Reichtum betrifft, so leben wir in einer Kultur, die fromm bestreitet, dass Reichtum ein Endzweck sei, ihn in der Praxis aber so behandelt.“ Und er fügt spöttisch hinzu: „Es ist schon erstaunlich, dass die materielle Organisation des Lebens im einundzwanzigsten Jahrhundert genau so im Mittelpunkt steht, wie in der Steinzeit.“

Lange hat das Streben nach Wachstum und die permanente Umverteilung die Suche nach dem Sinn betäubt. Doch jetzt wird deutlich, dass Reichtum für alle nur eine Illusion war
Arbeitslosigkeit bedeutet die Entwertung der Existenz